run for your soul

... ästhetische Stadtteilerforschung in König-Ludwig


Der fremde Blick auf König-Ludwig. Erkundung eines Stadtteils in Recklinghausen.

 

Atelierhaus RecklinghausenKönigsstraße 49A, 45663 Recklinghausen

 Ausstellung vom  1. bis  22. September 2019

Der fremde Blick auf König-Ludwig

 

I.

Wir sind ihr bei unseren fotografischen Streifzügen durch den Stadtteil auf der Spur gewesen – der Seele von König-Ludwig. Ob wir sie gefunden haben, wissen wir nicht, aber wir haben uns ein Bild davon gemacht, ein Mosaik mit 60 unterschiedlichen Steinchen. Jeder war alleine mit der Kamera unterwegs, unabhängig voneinander und an unterschiedlichen Tagen. Das Ergebnis hat uns überrascht: Wir arbeiten seit Jahren zusammen, dabei hat jeder seinen individuellen Blick bewahrt. Dennoch haben wir schnell festgestellt, dass uns an vielen Stellen die gleichen Motive aufgefallen sind. Drei Mal ein fremder Blick also, drei Mal seziert der fremde Blick offenbar die gleiche Substanz: Das muss etwas mit König-Ludwig zu tun haben, mit seiner Seele und mit dem, was der Stadtteil mit uns fotografischen Chronisten gemacht hat.

 

II.

Zuallererst haben wir Leere und Ödnis gespürt und gesehen: Die vielen penibel geschotterten Vorgärten, abweisende Spielplätze vor Wohnblocks, leerstehende Bauten, geschlossene Kioske, missglückte brutalistisch anmutende Architektur an einer zentralen Kreuzung im Stadtteil, vermüllte Ecken, trostlose Fassaden, Reihengaragen mit öden Vorplätzen, Industriebauten, die zum Revier gehörten, es prägten und ihre angestammte Funktion verloren haben, aber noch trotzig die „Halle III“ markieren, schließlich hier und da inmitten der Leere Deutschlandfahnen und die eine oder andere rechte Parole und Aufkleber, die dem BVB Tod und Hass wünschen. 

Aber es fallen uns noch viele andere Spuren – diverse mehr oder weniger subkulturelle Botschaften – auf, die die Menschen hinterlassen haben. Da wird der „Sieg“ beschwören, die Leere wird durch die Proklamation von „100% Wand“ und an anderer Stelle großspurig-trotzig durch „100 % Recklinghausen“ konterkartiert. „Otto“ war im Übrigen auch hier, aber die Anwesenheit darf man nicht gefährden. Sollte man etwa den Schiedsrichter beleidigen, so erfahren wir, werde man vom Sportplatz verwiesen. „Für Mama und Papa“ wird an anderer Stelle verkündet, und man fragt sich: Was um Himmels Willen ist für die Eltern denn angedacht? „Hurz“ etwa? Hape Kerkelings berühmtes in Recklinghausen entstandenes Hurz begegnet uns an der Fassade des alternativen Kulturzentrums in einem defekten kleinen Schaukasten ohne Glas, unweit von einem verlassenen Kiosk, der internationale Spezialitäten verheißt. 

Wir schmunzeln, und uns fällt noch mehr auf, was uns schmunzeln lässt und uns zeigt, dass es jenseits der Leere und Ödnis im Stadtteil Liebenswertes und Besonderes gibt, das ihn wärmer macht. Da gibt es z. B. die große Skulptur eines Tigers auf einem Dach, viele gemalte Herzen, die auf den Laternenmast gezeichnete Blume, Figuren auf Dächern, das liebevoll gestaltete schwarz-gelbe Vogelhäuschen und die sorgsam vor der Haustür abgestellten Kinderschuhe. 

 

III.

Was mag das alles für die Menschen bedeuten, die in König-Ludwig leben und arbeiten? Das haben wir uns nicht zuletzt deshalb gefragt, weil wir so wenige gesehen haben. Wir sind minutenlang gelaufen und haben nicht eine Menschenseele gesehen. Ein leerer Stadtteil; sind die Menschen alle auf der Flucht, weggerannt, um ihre Seele zu suchen? Gewiss nicht, wir treffen dann doch einige, und es ergibt sich der eine oder andere sehr freundliche Small-Talk, aber es kommen auch gelegentlich neugierige, kritische Fragen von Passanten, die angesichts der Kamera misstrauisch geworden sind. 

König-Ludwig – ein stiller und auch ein multikultureller Stadtteil, der Wärme und Nähe aufweist, einer mit Herz, ein typischer Stadtteil einer Stadt im Ruhrgebiet? Ja und nein, König-Ludwig ist eigen und eigenständig, anders, das ist an vielen Ecken zu spüren. Man muss sich König-Ludwig erarbeiten, seine raue Liebenswürdigkeit erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

 

IV.

gleis3eck hat seit Jahren den Fokus auf das Urbane gerichtet. Uns fasziniert das Widersprüchliche, das Raue, das Unaufgeräumte. Urbanität lebt von Kontrasten, Brüchen und Versöhnungen. Hier entwickeln und spiegeln sich Aufstieg und Niedergang, Geschichte und Zukunft, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Reichtum und Armut, Öffentlichkeit und Privatheit, Kultur und Subkultur, Vielfalt und Einfalt, Schönheit und Hässlichkeit, Lebendigkeit und Verfall, Veränderung und Stillstand, Komplexes und Banales, Sein und Schein, Humor und Trostlosigkeit. 

All das haben wir bei unserer fotografischen Entdeckungsreise in unterschiedlichem Ausmaß auch in König-Ludwig wahrgenommen.